
Mein kleiner japanischer Migrant Danbo ist nun seit ziemlich genau einem Jahr bei mir zu Besuch. Ursprünglich wollte er mich bei einem Fotoprojekt unterstützen, aber das mussten wir aus gesundheitlichen Gründen kurzfristig absagen. Nun hat Danbo Besuch bekommen und ist mit seinem Freund auf Entdeckungsreise. Das hat mich zum Thema Bokeh inspiriert — Fluch und Segen der Unschärfe…
Bei der Fotografie bestimmter Motive wird der Hintergrund gerne bewusst unscharf gehalten, um die Ablenkung des Betrachters vom Hauptmotiv zu mindern. Beispielsweise erscheinen dann bei einigen Objektiven in den unscharfen Bereichen (die außerhalb der Schärfentiefe liegen) im vorderen Bereich viele helle Kreise, während bei anderen Objektiven diese Kreise eine andere Form, Farbe oder Kontrast aufzeigen. Diese unterschiedlichen Erscheinungsformen der unscharfen Bereiche als auch die Qualität des Übergangs nennt man das Bokeh eines Objektives. — Wikipedia —
Danbo erzählt seinem kleinen Freund ausführlich was ihm das vergangene Jahr alles widerfahren ist und wie er sich in seiner neuen Heimat fühlt.
Wie erreiche ich die Unschärfe ?
Die BlendeEs sind unterschiedliche Faktoren dafür verantwortlich wie gut man den Hintergrund durch Unschärfe von seinem Hauptmotiv trennen kann. Im Wesentlichen ist es die Blende die steuert, wieviel Tiefenschärfe (ist das selbe wie die Schärfentiefe, aber mir fällt der Ausdruck einfacher) wir im Bild erzeugen. Ich erkläre das mal mit meinen Worten bzw. wie ich es jeweils in den Kursen den Teilnehmern immer versuche zu erklären.
Mit einer kleinen Blendenöffnung (grosse Zahl) muss die Verschlusszeit länger werden damit das Bild nach wie vor korrekt belichtet wird. Durch die kleine Blendenöffnung fliesst nun länger Licht auf den Kamerasensor. Es dauert länger bis mein Bild fertig belichtet ist und dadurch kann der Hintergrund schärfer gemalt werden (Fotografie ist ja malen mit Licht). Durch eine grosse Blendenöffnung braucht es eben nicht soviel Zeit für eine korrekte Belichtung und damit reicht die Zeit nicht aus um den Hintergrund scharf zu zeichnen.
Je grösser die Blende geöffnet wird, desto weniger Tiefenschärfe wird erzeugt.
Eine Blendenöffnung wird jeweils durch einen f-Wert gekennzeichnet. Und jetzt kommt es — grosse f-Zahl = kleine Blendenöffnung = grosse Tiefenschärfe und demzufolge kleine f-Zahl = grosse Blendenöffnung = geringe Tiefenschärfe. Keine Ahnung wer sich das Paradoxon ausgedacht hat. Aber hat ja auch keiner gesagt das es einfach ist.
Die BrennweiteDie Brennweite leistet ebenfalls einen wesentlichen Beitrag an der Tiefenschärfe im Bild. Hast Du schon mal ein Bild mit einem Ultraweitwinkel gesehen, das mit einer grandiosen Unschärfe im Hintergrund überzeugt ? Nein ? Genau — es geht nämlich auch nicht. Mit einem 15mm Weitwinkelobjektiv kannst Du keinen extrem unscharfen Hintergrund erzeugen (ausser durch verwackeln, aber davon sehen wir nun mal ab).
Je länger die Brennweite und je grösser die Blendenöffnung am Objektiv eingestellt sind, desto weniger Tiefenschärfe wird erzeugt.
Als Danbo seinen kleinen Freund hochhebt, war ich gerade mit dem 50mm Objektiv nahe dran. Blende f1.7. Achte mal auf den Hintergrund an den dunklen Stellen — wirkt etwas unruhig, oder ?
Als sie sich einen kurzen Snack gegönnt haben hatte ich nach wie vor das 50mm im Anschlag. Auch hier f1.7 — kein wesentlicher Unterschied. Die Tiefenschärfe bei 50mm und f1.7 ist dermassen knapp, dass Danbo’s Auge zwar scharf ist, aber der vordere Teil seines Arms bereits unscharf ist. Die Tiefenschärfe nimmt also bei grossen Blendenöffnungen rapid ab. Oh je — habe es ja im Titel schon geschrieben — Fluch und Segen.
Die beiden Freunde haben sich lange nicht gesehen und ich konnte sie unbemerkt aus der Distanz fotografieren. Hier hatte ich das 200mm Objektive montiert und bei einer Blende f2.8 fotografiert. Im Vergleich mit den oberen Bildern müsste ich nun zwar, auf Grund der kleineren Blendenöffnung, mehr Tiefenschärfe haben, aber durch die 4-fache Brennweite wirkt das alles viel feiner, viel ruhiger.
Lange Brennweite und grosse Blendenöffnung und möglichst nah am Motiv — frei nach dem Motto „näher ran“
Fazit – Hilfe
So wie Danbo seinem kleinen Freund hilft auch den oberen Stock seines neuen Zuhause zu erkunden, so möchte ich auch Dir helfen zu einem ansprechenden Hintergrund zu gelangen. Also die erste Grundlage dazu hast du nun bekommen.
Nimm Dir deine Kamera, nimm das Objektiv mit der längsten Brennweite. Viele von Euch werden vermutlich ein Standard-Zoom verwenden welches einen Brennweitenbereich von 18-200mm abdeckt. Damit kannst du gut arbeiten. Fahre also mal dein Zoom aus, soweit du kannst.
Nun gehst Du in den Zeitautomatik-Modus deiner Kamera (A oder AV). Stelle die grösste Blendenöffnung ein die geht (vermutlich wird es bei Dir so um den Wert f5.6 oder f6.3 sein) und nimm Dir ein Motiv vor das mal ruhig steht. Dann gehst Du so nah ran wie Du kannst — Achtung: irgendwann bist Du zu nahe und du kannst nicht mehr scharf stellen weil die Naheinstellgrenze deines Objektivs erreicht bzw. überschritten wurde. Also dann einen kleinen Schritt zurück. Und nun übe was das Zeug hält — Probiere unterschiedliche Brennweiten aus und wähle unterschiedliche Blendenöffnungen bei gleiche Position. Behalte deine Blendeneinstellung bei und ändere nur deine Entfernung zum Motiv und du wirst bald merken was in welchen Fällen passiert und der Effekt ist. Viel Spass.
Fluch und Segen
Der Segen liegt auf der Hand. Mit der geringen Tiefenschärfe lassen sich Motive wunderbar vom Hintergrund freistellen. Die Wirkung ist klar — der Betrachter konzentriert sich auf das Hauptmotiv und wird nicht durch den Hintergrund abgelenkt. Ja wenn da nun eben nicht der Fluch dazu kommt.
Durch die Arbeit mit grossen Blendenöffnungen und geringer Tiefenschärfe wird der Anteil an unscharfen Bildern wieder steigen. Also du wirst mehr Ausschuss bekommen. Aus Erfahrung kann ich bestätigen das die Arbeit mit einer Blende f1.4 oder f1.7 sehr tückisch sein kann. Bei solchen Blendenöffnungen liegt der Schärfebereich bei wenigen Millimetern. Wenn hier der Fokus z.B. nicht das Auge, sondern eine Wimper erwischt dann ist das Auge unscharf — wer während einem Shooting nicht darauf achtet und das auf dem Kameradisplay genau kontrolliert, der wird sich zu Hause ärgern wenn er die Bilder auf dem Monitor betrachtet. Das lässt sich auch mit Photoshop nicht korrigieren.
Aber wenn Du es im Griff hat — Oh ja — dann werden deine Betrachter staunen und sich an wundervollen, unscharfen Hintergründen freuen die sie eigentlich unbewusst gar nicht wahrnehmen.
Viel Spass bei der Arbeit mit offenen Blenden und lass mich wissen wie es Dir damit ergeht bzw. ob ich in meiner Euphorie über Danbo’s Besuch vielleicht noch was vergessen habe. Ein kurzer Kommentar freut Danbo und mich sehr.
tolle anleitung und schön umgesetzt
lg edith
Merci Edith
Danbo und ich freuen uns an deinem Kommentar.